Digitalisierung im Maschinenbau? Ist Software der Wertetreiber der Zukunft?
„In den nächsten fünf Jahren wird Software in unseren Produkten kein Thema sein“.
So endete im Dezember 2013 ein Gespräch mit dem Entwicklungsleiter eines großen, bekannten Technologieunternehmens. Mir blieb nur, nachdenklich den Konferenzraum zu verlassen. Die ganze Fahrt zurück nach Hause kreisten meine Gedanken um das, was da geschehen war.
Da ich schon früh meine ersten Zeilen Code geschrieben hatte und seit über 18 Jahren beruflich mit Embedded Software und komplexen Systemen zu tun habe – zunächst als Softwareingenieur, später als Systemingenieur – stellt sich für mich die Frage „Brauchen wir Embedded Software in zukünftigen Produkten?“ einfach nicht. Für mich ist das absolut selbstverständlich.
Aber dieser Entwicklungsleiter war felsenfest davon überzeugt, dass in seinem Produktsegment und auch im Markt bei den Wettbewerbern das Thema Software einfach nicht ansteht. Er sah in der Digitalisierung keine Chancen und bestand darauf, dass sein Vorsprung am Markt in den nächsten Jahren durch die exzellenten konstruktiven und technologischen Fähigkeiten seines Produktbereiches gesichert sei. Ja, Elektronik würde vielleicht noch mit dazu kommen, aber Software – nein.
Liege ich so falsch? Habe ich vielleicht eine sehr einseitige Sicht, geprägt durch meine Vergangenheit? Ich war tief verunsichert. So trieb mich seit dem fragwürdigen Tag die Frage umher: „Ist Software der Wertetreiber der Zukunft?“
Woran kann ich den Trend erkennen?
Also begab ich mich auf die Suche nach interessantem Wissen und hilfreichen Indizien, die mir diese Frage beantworten können. Aus Gesprächen bei Hörertreffen, über Twitter und durch Hörermails bekam ich mit der Zeit immer mehr Informationen, durch die sich ein Bild formte.
Ich habe bei dieser Suche zwei sehr wichtigste Impulse aus der Community erhalten:. Zum einen den Vortrag „520 Wochen Zukunft — die zweite Dekade der großen Chancen“ von Lars Thomsen, einem Zukunftsforscher aus Zürich. Zum anderen das Hörertreffen in Paderborn, bei dem ich das erste Mal mit einer Gruppe von Maschinenbauern in Kontakt kam, die in einem Spitzencluster mit dem Namen „it’s OWL“ das Thema Software im Maschinenbau in ihrer Region vorantreiben.
Das Video findet ihr unter https://www.youtube.com/watch?v=sHsPyymMZ4s.
Den Spitzencluster findet ihr unter http://www.its-owl.de.
Was ist das Ergebnis?
Das Ergebnis meiner Recherche hat am Ende meine Meinung deutlich verfestigt. Software wird der Wertetreiber der Zukunft sein. Dabei habe ich mehrere grundlegende Faktoren ausgemacht:
- Das Mooresche Gesetz gilt immer noch. Damit verbunden ist die Verdoppelung der Leistungsfähigkeit alle 12 Monate. Anders ausgedrückt: Alle 12 Monate halbieren sich die Kosten für Hardware, die wir brauchen, um komplexe Aufgaben mit Software zu erledigen. Das beste Beispiel sind die Arduinos als kostengünstige Möglichkeit, komplexe Aufgaben zu automatisieren. Als ich 2000 als Softwareingenieur eingestiegen bin, haben wir für vergleichbare Entwicklungssysteme noch tausende von Euros ausgegeben. Heute kosten Arduinos nicht mal 100 Euro und sind sogar einfacher zu bedienen.
- Kein Maschinenbaubereich wird unangetastet werden. Dazu gibt es genug Beweise aus der näheren Vergangenheit. Ein sehr bekanntes Beispiel ist Kodak und deren feste Überzeugung, dass die analoge Fotografie nie durch die Digitalisierung ersetzt werden kann. Heute sind sie nicht mehr da.
- Immer mehr Funktionen und Nutzen werden ins Web übertragen. Damit wachsen Embedded- und IT-Software immer mehr zusammen. Ein Beispiel ist der Einstieg von Google und Apple in den Automobilsektor. Sehr interessant sind die reflexartigen Reaktionen der „Big Player“ der klassischen Maschinenbaubranche „Automobil“.
- In China verlassen seit 2012 mehr Absolventen die Universitäten, als in den USA Kinder geboren werden. Und trotz der Ein-Kind-Politik wird in den nächsten Jahren China versuchen, weltweit regelrecht alle Spezialisten zu sich zu ziehen, um seinen Bedarf an Fachkräften zu stillen. Mittlerweile beginnen chinesische Unternehmen damit, ihre Entwicklungszentren nach Deutschland zu verlegen.
Was ist nun die Quintessenz?
- Ich glaube, wenn sich der klassische, konstruktionsgetriebene Maschinenbau – der mit seinen durchaus sehr anspruchsvollen Produkten unsere Wirtschaft als Hidden-Champions in der Nische prägt – sich nicht dieses Jahr mit dem Thema Software intensiv und professionell beschäftigt, werden wir im deutschen Mittelstand noch unser blaues Wunder erleben.
Ja, ich weiß, Software ist für Maschinenbauer ein schwer zu greifendes Thema. Software können wir nicht anfassen, es gibt nicht die Möglichkeit, sie haptisch zu begreifen. Und tausende von Zeilen Quellcode auszudrucken bringt uns auch nicht mehr Erkenntnis. Software ist wie Geld. Das Papier des 100 € Scheins ist auch keine 100 € wert – wir geben ihm seinen Wert.
Wir müssen lernen, mit Software in und um die Produkte professionell und wertschöpfend umzugehen. - Verbunden mit dem Thema Software, wird auch das Thema Systeme immer mehr in den Vordergrund treten. Software an sich ist nicht deterministisch, im Gegensatz zur Elektronik oder der Konstruktion. Wenn ich zu viel Spannung auf einen Kondensator gebe, gibt es schicke Rauchwölkchen. Wenn ich auf einen Hebel mit zu viel Kraft beaufschlage, wird er brechen. Das ist bei Software anders. Software erzeugt keine Rauchwölkchen und wird nicht brechen. Das Verhalten ist nicht deterministisch. Das führt dazu, dass softwaregetriebene Systeme schlicht komplexer werden.
Die Beherrschung der Systemebene und der software erfahrene Systemingenieur als Führungskräfte werden in maschinenbau geprägten Unternehmen zukünftig der entscheidende Schlüssel für Erfolg oder Niederlage sein. - China ist eine jahrtausendealte Nation, wenn nicht die älteste überhaupt. Sie hatten in den letzten paar hundert Jahren einfach nur eine „Formkrise“. Ihre Kultur, den Meister zu kopieren, ist für die westlich orientierten Unternehmen mit ihrer Patentkultur einfach nur schwer zu verstehen. Sie werden vom Meister lernen, und Software können wir nicht patentieren (was aus meiner Sicht auch keinen Sinn ergibt).
Es führt zu einer einzigen möglichen Konsequenz – wir müssen einfach besser sein!
Brauchen wir jetzt noch den Maschinenbau? Wird der Konstrukteur und der Elektroniker überflüssig?
Software braucht ein Zuhause, und dieses Zuhause wird entweder funktional oder designgetrieben sein.
Also wird sich die Aufgabe des Konstrukteurs genau dahin verschieben. Wir sehen das schon seit Jahren in der Automobilentwicklung. Dort geht es um Packaging (wie bekomme ich den Kram unter?), um die Bedienung (Wie kann ich die Steuerung des komplexen Systems so einfach wie möglich gestalten?) und um Design (wie kann ich mein Produkt emotionalisieren?). Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Genauso wird sich die Aufgabe des Elektronikers verschieben. Wir sehen das schon seit Jahren im Telefonbereich. Dort geht es um die Frage: Wie kann ich dem Softwerker eine optimale Plattform bereitstellen. Mit den Faktoren Bauraum (für die Konstrukteure), Umwelt (Vernetzung, EMV, ESD) und Zukunftsfähigkeit (für die nachträgliche Aktualisierung). Nicht minder anspruchsvoll!
Aber als Mechatronikingenieur glaube ich: Die heutigen Führungskräfte aus den klassischen Ingenieursdisziplinen müssen sich bewusst machen, dass schon heute die Software in ihren Produkten der Wertetreiber für ihre Kunden darstellt. Ob sie es glauben oder nicht. Denn Unternehmen, die das Thema Embedded Software gar nicht oder nur stiefmütterlich behandeln, werden einfach in den nächsten Jahren große Schwierigkeiten haben, überhaupt noch am Markt zu überleben.
Die Zukunft wird das entscheiden. 520 Freitage und wir werden uns wieder sehen.